Text & Foto: Charis | Schönste Zeit Magazin *
In den sanften Hügeln der Langhe, am Rand des berühmten Barolo-Weinanbaugebiets, liegt das verschlafene Dorf Roddino. Fast am Ortsende fällt ein Gebäude durch seine leuchtende Fassade in Rot, Gelb, Lila, Pink und Schwarz auf – ein Kunstprojekt, das zum neuen Begegnungsort der Dorfgemeinschaft wurde.
Ein neuer Treffpunkt für Roddino
Es ist die „Bottega di Roddino“, eine außergewöhnliche Tagesbar, in der Emanuela, von allen nur Emi genannt, mit kinnlangen Locken und einer derben Schürze die Gäste empfängt. Doch die Bottega ist mehr als nur eine Bar: Sie fungiert als Weinstube, Dorfladen und sozialer Treffpunkt in einem 412-Seelen-Dorf, das lange Zeit weder Kneipe noch Lebensmittelgeschäft hatte.
„Ich liebe diesen Ort“, schwärmt Emi, die seit September 2024 die Bottega die Roddino betreibt. „Die Lebensqualität in Roddino unterscheidet sich fundamental von der in Monforte. Es bereitet mir Freude zu sehen, wie Menschen hier zusammenkommen.“ Nach 25 Jahren in der Gastronomie, darunter zehn Jahre in ihrer Pizzeria „In Piazza“ in Monforte d’Alba, suchte sie einen langsameren, ruhigeren Lebensstil – und fand ihn in Roddino.
„However Many Times We Ran The Model The Results Were Pretty Much The Same“ – Hito Steyerl & Liam Gillick
Das historische Gebäude, bis 1994 die Dorfschule, wurde auf Initiative des Bürgermeisters Andriano Marco zu einem multifunktionalen Raum umgebaut. 2023 verliehen der britische Bildhauer Liam Gillick und die deutsche Künstlerin Hito Steyerl der Fassade im Rahmen eines Kunstprojekts ihr heutiges Erscheinungsbild – ein Gittermuster in leuchtenden Farben, das die Landschaftsstruktur abstrahiert. Das Projekt wurde unter dem Namen „However Many Times We Ran The Model The Results Were Pretty Much The Same“ bekannt. Wer sich dafür interessiert, finde eine Informationstafel, gleich neben der Bar.
Ein piemontesischer Mix aus Weinbar, Shop und neuem Treffpunkt
In ihrem Dorfladen bietet Emi Alltagsprodukte an, von Pasta und Backzutaten bis zu Schreibwaren und Reinigungsmitteln. Für Einheimische und Touristen gibt es zudem regionale Spezialitäten wie handwerklich hergestellten Schinken, lokale Käsesorten, Marmeladen und hochwertige Anchovis.
Die Speisekarte der Bottega ist typisch piemontesisch: Vitello Tonnato, Acciughe al Verde, Carne Cruda oder Antipasti Piemontese – einfache, aber charakteristische Gerichte der Region. „Ich mische viel“, erklärt Emi ihr Konzept. „Jede Woche gibt es andere Gerichte.“ Die Kuchen backt sie gemeinsam mit ihrer Mutter.
Die Weinauswahl konzentriert sich auf lokale Sorten wie Nebbiolo, Barolo, Barbera und Nascetta. Oft kommen die Winzer selbst vorbei, um in der Bottega mit anderen Weinbauern und Freunden über die Weine zu reden, oder neue Flaschen zu probieren. Auch die Weine von Serafina Quota, kann man bei Emi trinken. Oft bringt Yvonne sie selber vorbei.
Ein handgeschriebener Zettel preist diverse Champagnersorten an. Für die Zukunft plant Emi einen Weinkühlschrank für Weine aus anderen Regionen. „Die Locals wollen natürlich auch einmal etwas anderes probieren“, schmunzelt sie.
Neue Pläne für den Sommer
Obwohl Emi die Bar abends früher schließt als ihre früheren Lokale, ist der zwölfstündige Arbeitstag eine Herausforderung. Montags und dienstags vormittags bleibt die Bottega deshalb geschlossen. Für den Sommer plant sie Tische auf der dem Platz vor der Bar, wo schon jetzt zwei Weinfässer nur darauf warten, dass sie endlich wieder als Stehtische genutzt werden.
„An zwei Abenden pro Woche könnten wir Veranstaltungen mit Musik und exklusive Winetastings anbieten.“ Wer mit Emi plaudert, merkt schnell, dass schon lange wieder neue Ideen in ihr brüten.
Im Vergleich zu touristischen Hochburgen wie Barolo und Monforte d’Alba bewahrt das kleine Roddino sich eine authentische Atmosphäre. Die Bottega, verkehrsgünstig an der „Bar to Bar“-Route der Urlaubsregion Langhe Monferrato Roero gelegen, wird besonders von Radtouristen geschätzt. „In der Bottega di Roddino erleben wir eine andere, nachhaltigere Form des Tourismus“, erklärt Emi. „Die Gäste, die den Weg hierher finden, schätzen die landschaftliche Schönheit der Langhe.“
Im Inneren der Bottega vereinen sich rustikaler Charme mit historischen Elementen. An einer unverputzten Wand erinnert eine teilweise erhaltene Inschrift aus der Zeit des italienischen Faschismus an ein dunkles Kapitel der Geschichte – ein Zeitzeugnis, das bewusst nicht entfernt wurde.
Ob Einheimische, Wanderer oder Radfahrer: Die Bottega di Roddino ist mehr als eine Bar. Sie ist die wiederentdeckte Seele eines Dorfes, das seine Identität zwischen Tradition und behutsamer Erneuerung findet.
La Bottega di Roddino
Via Roma 5
12050 Roddino (CN) Italien
Tel. +39 339 446 3850
Link zu Google Maps
*Die Journalistin Charis Stank sammelte redaktionelle Erfahrungen beim Verlag Gruner & Jahr und arbeitet als Texterin in der Tourismus-Branche. In ihrem Reisemagazin Schönste Zeit entführt sie Leser seit fünfzehn Jahren zu den schönsten Orte der Alpen.