Wir sind ein Kulturverein

Die Dunkelkammer. Dogliani 2022.

Text und Fotos Anja Kaufmann*

 

 

Fokussieren. Auslösen. Weiter transportieren. Eine Filmrolle, 36 Mal der selbe Ablauf. Jede Bewegung passiert unbewusst und dennoch mit so viel Achtsamkeit. Meine Kamera ist ein Erbstück vom Bruder meiner Großmutter. Sie ist bereits in den 60ern mit ihm um die Welt gereist und hat das getan, was nur analoge Kameras auf ihre ganz spezielle Art tun: Zeit archivieren.

 

Noch heute, Tausende Auslösungen später, rieche ich, wenn ich durch den Auslöser schaue rieche ich den Tabakgeruch von Onkel Josefs selbstgedrehten Zigaretten, aus einer Zeit, in der man im Flugzeug noch rauchen durfte und man erst Wochen nach der Reise die visuellen Erinnerungen mit anderen teilen konnte.

 

Die analoge Fotografie ist pure Spannung. Im Bewusstsein den richtigen Moment zu erwischen und erst wenn der Film entwickelt ist zu wissen, ob es dieser eine war. Dahinter steckt eine ganz andere Behutsamkeit, die Aufmerksamkeit für diesen Moment. Sich des „Hier und Jetzt“ bewusst zu sein, mit der Absicht, es für immer festzuhalten, hat fast etwas Meditatives.

 

Meine Liebe zur Fotografie begann, als ich zu meinem 6. Geburtstag meine erste Kamera bekam, eine vollautomatische Kodak-Kompaktkamera mit 3-fachem Zoom. Es war Liebe auf den ersten Blick, und so ist es auch heute noch, das geerbte Up-Grade kam erst Jahre später
Fortan wurde das gesamte Taschengeld in Filmrollen investiert. In den finanziell schlechten Monaten  in 24 Bilder, 200 ISO, in den guten 36 Bilder, 400 ISO.
Es müssen in dieser Zeit wohl hunderte Fotos von meinem Wellensittich Herbert und Omas Katze, Hannibal III, entstanden sein.

 

Als Jahre später die örtliche Schlecker Filiale schloss und somit die einzig erschwingliche Möglichkeit, den Input meiner Kodak zu entwickeln, blieb mir nichts anderes übrig, als das Ganze von nun an selbst in die Hand zu nehmen. Meine Mutter, sich der Schnellebigkeit manch meiner Ideen bewusst, war skeptisch, ließ mich aber machen, sofern ich mich eigenständig um alles kümmern würde.

 

Mein Vater gab mir großzügigerweise eine kleine Ecke in seinem Skikeller zur Verfügung, wo er mir half, ein altes Regal und einen noch morscheren Tisch direkt unter dem Skischuhtrockner zu platzieren. Wasseranschluss gab es keinen, aber  ich konnte das Wasser für den Entwicklungsprozess in Eimern aus der nahe gelegenen Waschküche meiner Großmutter holen.
Mein großes Glück war, daß mein Nachbar Friedrich ein Bastler und Erfinder war. Ich wusste, auf der Suche nach dem Herzstück meiner Dunkelkammer – dem Vergrößerer – konnte nur er mir helfen. In diesem Sommer wurde er mein bester Freund. Alles andere – Wannen, Zangen, Fotochemie, Rotlicht, Papier, Filter, Entwicklerdosen – sammelte ich auf Flohmärkten oder bekam es von Fotografen, die sich trendbewusst lieber der modernen digitalen Fotografie widmeten. Die ganze Welt schien digital zu sein, aber mein Herz blieb analog.

 

Belichten – entwickeln – stoppen – fixieren.
Stunde um Stunde verbrachte ich nun damit, mit Teststreifen die richtige Belichtungszeit zu ermitteln und herauszufinden, wie Wasserflecken auf Negativen vermieden werden können. Der Geruch von Skiwachs und Fixierflüssigkeit wurde zum Geruch meiner Jugend.
Mit 13 stellte ich zum ersten Mal aus, im dörflichen Altersheim. Die Ausstellung umfasste 24 Porträts der Einwohner. Sie freuten sich so sehr, wie ich. Fünf Jahre später startete ich mein Fotografie Studium in Wien.

 

Kurz nach meinem Abschluss lernte ich Yvonne kennen. Nach jahrelanger Freundschaft und Zusammenarbeit in ihrem piemontesischen Kulturverein gab sie mir die Möglichkeit, meiner Leidenschaft den Raum zu geben, den sie all die Jahre verdient hatte. Eine eigens konzipierte und handgefertigte Dunkelkammer in der Alta Langhe. In den alten Mauern der wunderschönen Borgata Casale, ganz hinten, fast schon unscheinbar und dennoch voller Wirkung ist sie entstanden.  Ein auf eine Serviette gezeichneter Plan diente Yvonne, Jörg und den Handwerkern als Grundlage für die Umsetzung des kleinen Raums, ohne Licht, der seither das Zuhause von Friedrichs Vergrößerungsgerät, meinen Flohmarktfunde und dem zahlreichen wertvollem Fotopapier ist.
Dieser Ort erweckt alte Techniken wieder zum Leben und lädt jeden ein, das Gleiche zu tun. Interessierte können Workshops buchen oder ihren Urlaub damit verbringen, an einem ganz besonderen Rückzugsort ihre analogen Filme zu entwickeln, Zeit zu archivieren und Erinnerungen zu speichern.

 

 

 

*Anja Kaufmann hat Fotografie und Mediendesign, sowie Journalismus und Medienmanagement studiert. Sie hat die erste Edition der DWYL-Labels gestaltet und das Projekt in den darauf folgenden Jahren kuratiert. Mittlerweile betreut Anja interessierte Künstler und Designer, die sich im Rahmen einer Artist Residency vom Leben in der Langhe inspirieren lassen möchten.
Als Fotografin schlägt Anjas Herz analog, weshalb sie ihre Zeit in Italien am liebsten in einem Raum ohne Licht verbringt: in der Dunkelkammer der Serafina Kulturwerkstatt. Interessierte können bei ihr Workshops buchen unter anja@soi-magazin.com.