Text und Fotos Anna Pearson*

Unvergesslich, mein allererstes Gelato aus «Nocciole Piemonte IGP»! Wer liebt sie nicht, die gerösteten piemontesischen Haselnüsse, die man inzwischen – zum Glück! – auch ausserhalb Italiens in guten Delikatessengeschäften bekommt. In meiner Küche sind sie fester Bestandteil, seit ich sie bei einem meiner ersten Piemont-Besuche entdeckt habe. Da für mich als Slow-Food-Köchin das Kochen nicht erst in der Küche, sondern vor Ort bei guten Produzenten und Produzentinnen beginnt, will ich während meines Aufenthaltes in den Langhe einen Betrieb besuchen, auf dem meine geliebten Haselnüsse angebaut werden. Da ich schon bei meiner Reise nach Dogliani feststellen musste, dass es sich bei den meisten Haselnuss-Plantagen um eher trist anmutende Monokulturen handelt, war klar, dass ich einen Betrieb besuchen möchte, der nach biologischen Grundsätzen produziert.

Eine Empfehlung aus Bra: die Bio-Haselnüsse von Ilaria Fresia und ihre Eltern

Durch die Empfehlung einer Studentin der «Università di Scienze Gastronomiche» in Bra (vielen besser bekannt als «Slow-Food-Uni») erfuhr ich von «Morgana del Re». Bei Rodello produzieren Ilaria Fresia und ihre Eltern Roberto und Giuliana Bio-Haselnüsse und verarbeiten diese zu verschiedenen Spezialitäten. An einem heissen Nachmittag im August darf ich dem Hof einen Besuch abstatten und erfahre im Schatten der Haselnuss-Sträucher und beim Rundgang durch die Produktions-Räume Interessantes über den Anbau und die Verarbeitung von Haselnüssen. Natürlich darf ich mich in einer anschliessenden Degustation auch von der Qualität der Produkte überzeugen.

Gras statt kahler Boden

Was mir im Haselnuss-Hain als erstes auffällt: Wo andernorts der Boden unter den Sträuchern kahl ist, wächst im Hain von «Morgana del Re» Gras. Jetzt im August ist es verdorrt, bis im Frühsommer war der Hain jedoch grün bewachsen. Gemäht wird unter anderem mit Hilfe von Eseln. Im konventionellen Anbau ist Gras unter den Sträuchern unerwünscht, da dies die maschinelle Ernte erschwert. Doch ein kahler Boden ist in ökologischer Hinsicht eine Katastrophe. Wo nichts wächst, gibt es kein Leben. Regen kann vom Boden kaum gespeichert werden.

Roberto, der mich durch den Hain führt, erzählt, weshalb er auf Pestizide verzichtet. Als er mit den Haselnüssen begann, hatte er kleine Kinder: «Wie konnte ich dort, wo meine Kinder spielen, Gift spritzen?». Und so erledigt er von Hand, wofür konventionelle Produzent:innen zu Pestiziden greifen: etwa, indem er die unerwünschten jungen Triebe, die jedes Jahr am Stamm nachwachsen, von Hand wegschneidet.

Ernten und lagern frischer Haselnüsse

Bei unserem Besuch steht die Haselnuss-Ernte kurz bevor. Man lässt die Nüsse zu Boden fallen, liest sie zusammen und lässt sie trocknen – erst danach sind sie lagerfähig. Bei «Morgana del Re» geschieht das Trocknen schonend in der Sonne. Üblicherweise trocknen Produzent:innen ihre Haselnüsse mit zusätzlicher Hitze: das geht schneller und man ist nicht vom Wetter abhängig – allerdings gehen durch die Hitze auch wertvolle Nährstoffe verloren. Die getrockneten Haselnüsse werden in ihrer Schale aufbewahrt, erst unmittelbar vor dem Rösten werden sie geknackt und von der Schale befreit. Dies garantiert eine optimale Qualität. Je nach Grösse werden die Nüsse für andere Zwecke verwendet – dies wegen ihres unterschiedlichen Ölgehaltes. Bei grossen Nüsse ist dieser höher, deshalb werden sie zu (sensationellem!) Öl gepresst. Mittlere Nüsse werden im Ganzen verkauft, kleine Nüsse zu Cremen verarbeitet. Diese gibt es bei «Morgana del Re» nebst der klassischen Nuss-Schokolade-Kombination in verschiedenen, eher ungewohnten Varianten. Interessant etwa gewürzt mit Anis oder Muskatnuss. Oder, speziell und überraschend gut: mit Knoblauch!

Warum eine Nusscreme aus dem Piemont einfach besser schmeckt

A propos Creme, hier ein paar interessante Eckdaten: Ferrero, der Hersteller von Nutella, erwirbt 50% der weltweit produzierten Haselnüsse. Dies, obwohl Nutella einen Haselnuss-Anteil von lediglich 13% aufweist, im Gegensatz zur Variante von «Morgana del Re», die mehr als 60% Nüsse enthält. Der hohe Zucker-Anteil in billigen Haselnuss-Schokolade-Cremen ermöglicht es, auch minderwertige Nüsse zu verarbeiten – man schmeckt sie ja sowieso nicht. Bei «Morgana del Re» werden die Nüsse vor der Verarbeitung drei Mal von Hand sortiert: jede schlechte Nuss muss aussortiert werden, damit die Öle, Cremen etc. geschmacklich den hohen Qualitäts-Anforderung entsprechen.

Von meinem Besuch mit nach Hause genommen habe ich nebst vielen gerösteten Haselnüssen: eine pure, ungezuckerte Haselnusscreme, ein Öl aus gerösteten Nüssen und ein Glas mit caramellisierten und in Zimt gewälzten, geröstete Nüssen. Letztere waren innert weniger Stunden verputzt.

Mit den gerösteten Haselnüssen habe ich zu Hause ein herbstliches Pasta-Rezept kreiert: Hausgemachte Tagliatelle mit gebratenem Radicchio, Gorgonzola, frischen Feigen und gerösteten Haselnüssen. Buon appetito!

Die Produkte von «Morgana del Re» können auf der Webseite bestellt und vor Ort gekauft werden. Gegen Voranmeldung kann der Betrieb besichtigt werden.

Az. Agr. Morgana del Re – Nocciola delle Langhe

Via Cagnassi, 5/a

12050 Rodello CN

morganadelre.it

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*Anna Pearson ist Designerin, quereingestiegene Köchin, Kochbuch-Autorin und -Verlegerin. Mit ihrem Verlag, der Edition gut, hat sie in Zusammenarbeit mit ihrer Schwester, der Fotografin Catherine Pearson, zwei Bücher publiziert: «zu Tisch.» (2014) und «Pasta» (2018). Beide Bücher wurden mit verschiedenen Buchpreisen ausgezeichnet.

Anna Pearson engagiert sich seit Jahren für Slow Food, eine weltweite Bewegung, die sich für gutes, sauber und fair produziertes Essen einsetzt und dafür, dass jeder Mensch Zugang dazu hat. Diese Überzeugung ist in all ihren Projekten zu spüren – auf genussvolle Art will Anna Pearson immer auch für einen nachhaltigen Umgang mit Lebensmitteln inspirieren.